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Die Weinprobe

09. Juli 2023

«Dieses Jahr möchte ich meinen Geburtstag wieder feiern!» Fred stand frisch geduscht im T-Shirt und kurzen Hosen vor Anna. Sie blickte müde von ihrer Teetasse hoch. Wieder einmal hatte sie schlecht geschlafen. Fred machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. «Weißt du, kein großes Fest, nur die engsten Freunde sollen dabei sein. Und du wirst überhaupt keine Arbeit haben mit Essens-Vorbereitungen.» «Aha,» murmelte Anna und nahm einen Schluck Tee. «Ich habe nämlich eine wunderbare Idee. Ich lade zu einer Weinprobe ein.» «Soso. Und wen alles»? fragte Anna. Ich dachte, die Grüningers, die Jermanns, die Wolffs, vielleicht noch die Portoluzzis und die»…«Das sind schon zehn, mit uns», unterbrach Anna. «Also gut, die Portoluzzis lade ich nicht ein. Wäre ja sowieso an ihnen, uns einzuladen.» «Aber die Grüningers und die Jermanns zusammen?» fragte Anna und runzelte die Stirn. «Findest du das eine gute Idee?» Sie trank ihren Tee aus. «Wieso denn nicht»? wollte Fred wissen. «Weil die Grüningers doch ihre Teilnahme an der gemeinsamen Reise abgesagt hatten, als sie erfuhren, dass die Jermanns auch dabei sind.» «Ach so», meinte Fed. «Ich sehe das nicht so eng. Das war ein Missverständnis. Und bei einem guten Glas Wein werden wir das klären.» «Runterspülen, meinst du.» Annas Ton war spöttisch. «Muss man denn immer alles ausdiskutieren? Schwamm drüber und basta!» «Na dann viel Glück.» Anna stand auf, stellte die leere Tasse in die Spüle und verschwand im Bad.

Die Dusche tat ihr gut. Als sie das Bad verließ, legte Fred gerade den Hörer auf. Die Portoluzzis sind dabei», rief er freudig. «Ich dachte, die lädst du nicht ein?» »Sie haben sich so über die Einladung gefreut.» «Die freuen sich immer, wenn sie eingeladen werden.» Annas Stimmung verdüsterte sich wieder. Sie war zwar gerne großzügig, aber vorzugsweise bei großzügigen Menschen. Und dazu gehörten die Portoluzzis nun einmal nicht. Fred war schon wieder am Telefonieren. «Die Wolfs wären auch gerne dabei, aber leider hat Peter gerade eine Ausstellung. Er fragt, ob wir nicht einen anderen Termin ausmachen könnten.» Fred hielt den Hörer noch in der Hand. Anna machte eine Grimasse und zischte: «Sag ihm, es sei schwierig, einen Geburtstag zu verschieben.» «Ne, geht leider nicht», sagte Fred in den Hörer. Anna ist so beschäftigt.» Jetzt stand Anna wütend auf und schmiss das schmutzige Frühstücksgeschirr mit viel Getöse in die Spüle. »Nein, nein nichts ist runtergefallen», sagte Fred beschwichtigend in den Hörer. «Ja ich melde mich ein anderes Mal wieder.» Er legte auf. «Anna, bitte, du verdirbst mir den ganzen Tag. Ich hatte so gute Laune, hervor ich dich hier in der Küche antraf. Was ist denn los?» Fred klang ziemlich verzweifelt. Anna atmete tief ein und aus. Sie wusste, dass sie nicht in guter Verfassung war. Aber darauf könnte Fred doch auch etwas Rücksicht nehmen. «Tut mir leid», murmelte sie. «Schon gut», Fred lächelte und griff wieder zum Telefon. «Ich rufe jetzt die Grüningers an.» Das tat er und war erfolgreich. «Was für eine tolle Idee, sicher sind wir dabei», meinte Ulla. Fred strahlte. Jetzt würde er noch seine allerbesten Freunde anrufen. Die Jermanns würden sicher begeistert sein von seiner Idee. So war es auch, bis Eva fragte, wer denn an der Weinprobe noch dabei sei würde. «Ach so, die Grüningers», meinte sie kühl. Na dann müsse sie doch zuerst ihren Karl fragen. Sie hängte auf. «Habe ich dir nicht gesagt, dass es da ein Problem gibt?» Anna sah Fred herausfordernd an. Er wich ihrem Blick auf, brummte etwas und schnitt sich eine Scheibe Brot ab. Er bestrich sie dick mit Butter und Marmelade. Gerade als er den ersten Bissen im Mund hatte, klingelte das Telefon wieder. «Die Jermanns», sagte Fred mit vollem Mund. «Stell den Lautsprecher auf laut», flüsterte Anna. «Es tut uns sehr leid, aber wenn die Grüningers dabei sind, möchte wir auf die Teilnahme verzichten.» Es war die Stimme von Klaus. Wenigstens sind die ehrlich, dachte Anna. Fred wusste nicht, was er antworten sollte, murmelte etwas von verstehen und verabschiedete sich. Jetzt saß er da wie ein begossener Pudel. Mein armer Fred, dachte Anna. Er ist manchmal wirklich naiv wie ein Kind.  Es klingelte wieder. Unschwer zu erraten, wer jetzt dran war. Diesmal war es Ulla, die sich vorsichtig erkundigte, wer denn außer ihnen noch zur Weinprobe käme. Er wisse es noch nicht so genau, stammelte Fred. Sie und ihr Mann Gustav hätten nämlich etwas Bedenken, wenn die Jermanns auch dabei wären. Deshalb wollten sie lieber auf die Teilnahme verzichten und ihm ein anderes Mal zum Geburtstag gratulieren. Fred sas mit offenem Mund da. Anna hörte ein Knacken in der Leitung. Ulla hatte aufgehängt. Jetzt können wir nur hoffen, dass die Portoluzzis auch wieder absagen und wir den Abend allein geniessen können, dachte Anna. Aber das wird ziemlich unwahrscheinlich sein.

 

31.5.2023 ©P-Dur

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